ELECTRIC INFINITY VIII

29.10.2011 - GARAGE

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ELECTRIC INFINITY VII

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01.04.2011 > Salon Hansen

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13th Monkey live

Maschinenfest / 5.-7.11.2010

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    Ritual Kanibalski de Luxe / Whitehouse

    Hamburg/Berlin-Was haben die Bildzeitung, Mariola Brillowska und Whitehouse gemeinsam? Stimmt, alle wissen: Sex sells. Wissen wir natürlich auch, aber uns gibt es umsonst. Die Bildzeitung dagegen ist billig und pickt sich das Pic von Cezara nebst Betroffenheitsalibi Steffi aus unserer Kids-Ausgabe heraus, um über Kindersklavenhandel in Rumänien zu berichten. Die Zeiten ändern sich, die Seite-3-Mädchen auch. Exploitation is everywhere. Ganz im Ernst, die eigentliche Frage ist doch: Wieviel Bild-Leser nutzten Cezara eigentlich als Wichsvorlage? Und natürlich: Wieviel von Euch Vice-Lesern haben das gemacht?Mariola Brillowska und Whitehouse beschäftigen sich von Berufs wegen mit ähnlichen Fragen.Fangen wir mit Mariola an. Die macht Theaterstücke, Filme, Radiosendungen, Comics, malt, schreibt und wohnt in Hamburg. Dort haben wir im Theater Kampnagel Ihr Stück „Ritual Kanibalski de Luxe“ besucht, nicht zuletzt, weil wir vor Jahren schmunzelnd beim FSK (eigentlich ganz cooles Freistilradio aus Hamburg, das vor kurzem von der Polizei drangsaliert wurde, weil sich deren Pressesprecher auf dem Sender lächerlich gemacht hat) mitverfolgen konnten, wie die Lesben-Fraktion von Radio „St. Paula“ sich aufführte und Mariola fertig machen wollte, weil diese in ihrer Las Vegas Radio Show live masturbiert und auch noch Spaß dabei hatte. Konsequenterweise ist sie dann mit ihrer Porno Karaoke Show durch das Land gezogen, ganz beeindruckende, transgressive Happenings, wie der Mann von der FAZ sagen würde, in denen vor allem das kunstbeflissene Publikum ins Schwitzen kam, weil einfach nur Zuschauen nicht unbedingt drin ist. Ihre Filme, ihre Comics, ihre Art lassen uns an Trevor Brown denken, weil beide angenehm auf die sonst üblichen Schmerzgrenzen pfeifen und die eigenen Neurosen und Zwänge in etwas Größeres übersetzen. Im besten Falle kriegen sie es nämlich hin, dass der Betrachter sich dabei ertappt, dass er heiß wird, obwohl er doch eigentlich moralisch betroffen sein müsste. Wer hat noch gesagt: Art is not a mirror, art is a hammer?0610mariolapresse_1Ihr „Ritual Kanibalski de Luxe“ ist eines dieser Stücke, bei denen man sich freut, dass irgendeine Institution offenbar Geld dafür rausgetan hat, damit sich die Künstler eine gute Zeit machen können, Mariola und ihren Leuten sei es gegönnt. So ist das schließlich gedacht mit der Kunst-Industrie, man muss es nur geschickt anstellen, sein Stück vom Kuchen zu ergattern, ab einem gewissen Punkt hat man dann freie Hand und kann ein ziemlich entspanntes Leben führen, weil man sich regelmäßig gegen Bezahlung austoben kann. Man kann dann eine stimulierende Show abliefern, in der Kannibalismus, Entführung, Missbrauch und was sonst so regelmäßig die Boulevard-Presse beschäftigt, in Comicfilme, Trash, Bad Taste, Erotomanie und Selbstinszenierung gebrochen werden, und das Ganze dann mit Experimentalelektronik unterlegen, damit es nicht zu leise wird. Lautes Klappern gehört zu gutem Handwerk dazu.Damit kommen wir zu den Meistern dieses Fachs, Whitehouse. Die waren in Berlin, um eine ihrer berühmt-berüchtigten Live Actions zu präsentieren. Alle kamen sie natürlich aus ihren Löchern, die Weirdos, die Industrial-Menschen, die Sex Wrecks, die Gruftis, die Nerds und die Leute in SS-Uniformen und ihren Hakenkreuzen und Runen, von denen einer in Polizeigewahrsam genommen wurde, aber der war nicht mal Deutscher. Dass wir uns nicht falsch verstehen, Whitehouse sind keine Fascho-Band. Diese Leute sind letztendlich leider überall und haben nur überhaupt nichts verstanden. Es gibt Leute, die würden auch Hundescheiße kaufen, wenn man da das Wort „Buchenwald“ drauf drucken könnte. Oder „Kunst“. Oder „Food“.Um es mal ganz klar zu sagen: Whitehouse sind der beste elektronische Live Act der Welt. Was für ein Selbstbewusstsein steckt bitte in dieser Show. Es ist ein Heidenspaß, in Berlin dabei zu sein, wenn Philip Best und William Bennett auf der Bühne Rocker- und Koksfressen ziehen, ultracool und voller Sarkasmus ihre Gesten und Posen zelebrieren und sich in ihren Hate’n’Sex-Rants ergehen: das volle „We are the fuckers, we are the assholes“-Programm, eine transzendierende Gratwanderung zwischen Zynismus, Brautschau und Satire, viel näher an der Wirklichkeit, als vielen lieb ist, der vielleicht einzig wahre Rap des weißen Mannes. Da werden Klappern und Handwerk eins. Guter Noise macht eben sexy und kann ein ordentlicher Hammer sein. Ob man will oder nicht. Ihr werdet euch wundern, wozu ihr noch so abgehen werdet. Irgendwann kriegen wir euch doch.André Pluskwa

     

    http://vice.typepad.com/vice_germany/2006/10/sexsellers.html